Ein Delmenhorster Schildbürgerstreich

Weil ein Wasserwerk abgeschaltet wurde, steht der Delmenhorster Stadtpark unter Wasser. Schuld daran hat angeblich niemand.

Delmenhorst hat ein Wasserproblem. In der Graft – den städtischen Grünflächen unweit des Rathauses – und den angrenzenden Wiesen, ist es seit über einem Jahr feucht, sehr feucht sogar. Wasser ist für die Graft eigentlich kein fremdes Element, immerhin besteht der Park zu großen Teil aus zwei Burggrabenringen. Doch jetzt ist das Wasser auch dort, wo es nicht sein soll. Die Ursache hierfür ist ein Wasserwerk, das Anfang 2011 außer Betrieb genommen wurde. Nachdem dort die Pumpen abgestellt waren, stieg das Grundwasser. Die Folge: Weiden versumpften, Wege wurden unbegehbar und Bäume standen unter Wasser.

Verschärft wurde die Situation durch die starken Regenfälle im Sommer. Ein Aufschrei hallte durch die Stadt. Anwohner meldeten sich, dass Wasser in ihre Keller eindringt. Engagierte Bürger gründeten das Aktionsbündnis „Rettet die Graft“, um sich für den Erhalt des Stadtparks stark zu machen. Kurz vor der Kommunalwahl erklärten die lokalen Parteien einstimmig, sich für die Rettung des „grünen Herzens der Stadt“ einsetzen zu wollen. Kurz darauf liefen die Pumpen des alten Wasserwerkes wieder. Das Wasser aus der Graft wird abgepumpt und ungenutzt in die nahegelegene Delme geleitet. Die Umweltbehörde meldet sinkende Pegelstände.

Die Anwohner sehen das anders. Rudi Wennekamp vom Aktionsbündnis findet es gebe „keinen sichtbaren Erfolg“. Christof Selchow vom Kleingartenverein in der Graft hat einen ähnlichen Eindruck. Noch immer stehe das Wasser in den Gärten „eine Spatentiefe unter der Oberfläche“. Eine effektive Lösung muss her, zumal der Betrieb der Wasserpumpen vorerst auf zwei Jahre beschränkt ist. Betroffene und einzelne Politiker brachten die Idee ein, das alte Grabensystem wiederzubeleben. Eine weitere Forderung ist, dass das geförderte Wasser wieder zur Trinkwasserversorgung genutzt werden soll. „Ich habe grundsätzlich ein Problem damit das Lebensmittel Wasser zu verschwenden“, so Ratsfrau Andrea Meyer-Garbe von der SPD. Laut Stadtwerken ist die Wiederaufnahme der Wasserproduktion in der Graft aber gar nicht so einfach. Zum einen habe man langfristige Verträge mit einem Wasserzulieferer, zum anderen sei das Wasserwerk nicht mehr auf dem aktuellsten Stand und müsste aufwendig saniert werden. Für Eva Sassen vom Bürgerforum Neue Wege sind das faule Ausreden. Wenn man das Wasser vor Ort nicht aufbereiten könne, solle man es zum anderen Delmenhorster Wasserwerk nach Annenheide leiten.

Welches der verschiedenen Szenarien am Ende umgesetzt wird, darüber entscheidet die Stadt. Die hat einen Runden Tisch eingerichtet, in dem Experten eine Lösung für die Graft suchen sollen. Anfang März wird mit einem Ergebnis gerechnet. Bis dahin könnte es für viele Bäume schon zu spät sein. Doch bei der Stadt sieht man momentan „keine weiteren Möglichkeiten“ um den Schaden zeitnah einzudämmen. Im Frühjahr soll ein Gutachter die Schäden an den Bäumen inspizieren.

Neben der Zukunft ist auch die Vergangenheit noch immer ein Thema in der Stadt zwischen Bremen und Oldenburg. Viele Bürger fragen sich: „Wie konnte es dazu kommen und hat niemand von den Folgen gewusst? Am ehesten wohl Hans-Ulrich Salmen, Geschäftsführer der Stadtwerke Delmenhorst. Er hat 2003 eine Expertise bei einem Ingenieurbüro in Auftrag gegeben, um die Auswirkungen einer Abstellung des Wasserwerks abschätzen zu können. Darin wird ein deutlicher Anstieg des Grundwassers prognostiziert. In einem Wiesengebiet, wird prognostiziert, steigt das das Wasser bis knapp unter die Bodenoberfläche, im nahe gelegenen Wohngebiet auf 50 bis 80 Zentimeter. „Diese Ergebnisse haben uns nicht überrascht“ sagt Salmen. Überrascht haben ihn aber die ungewöhnlich starken Niederschläge im Sommer: „Diesen Jahrhundertregen konnte niemand vorhersehen.“ Der soll nach Salmen auch dafür ursächlich sein, dass das Wasser in einigen Stellen deutlich sichtbar über dem Boden stand. Das Aktionsbündnis wirft Salmen vor sich im Vorfeld nicht ausreichend informiert zu haben. Die Expertise habe wichtige Aspekte nicht berücksichtigt. Im Falle der Schädigung von Bauwerken, weist das Ingenieurbüro auch explizit darauf hin, dass weitere Untersuchgen notwendig seien.

Die Expertise des Ingenieurbüros will Salmen 2009 dem Fachdienst Umwelt weitergereicht haben. Der städtische Pressesprecher Timo Frers sagt hingegen, dass der Verwaltung das Gutachten erst im August 2011 „zugespielt“ wurde. Hätte der Fachdienst Umwelt anders reagiert, wenn ihm die Informationen eher zur Verfügung gestanden hätten? Möglicherweise nicht. Im August 2011 wird in einer Vorlage des Fachdienstes angemerkt, „dass sich die Erhöhung des Grundwasserstandes positiv auf die Natur auswirkt“. Durch den feuchten Grund könnten sich Biotope und Amphibien entwickeln. Dem stimmt auch die Luise Giani, Professorin für Bodenkunde an der Universität Oldenburg zu: „Das Ansteigen des Wasserspiegels ist die Wiederherstellung eines ursprünglichen Zustandes.“ Man müsse sich nur überlegen, ob man das wolle.

Die scheinbare Desinformation bei den zuständigen Behörden hat Giani überrascht: „Für mich klingt das wie ein Schildbürgerstreich“. Für den Stadtrat Kristof Ogonosvsky von der CDU war es eine „Verkettung von unglücklichen Umständen“, die zum unliebsamen Wasser führte. Stadträtin Marlis Düßmann vermutet, dass sich Verwaltung und Stadtwerke gegenseitig schützen. „Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus“, so das Fazit der Grünen-Politikerin. Politiker der SPD, Grünen und der Linken wollten Klarheit über Verantwortungen und stellten Anzeige gegen unbekannt. Die Staatsanwaltschaft Oldenburg hat mittlerweile das Verfahren aufgenommen.

Weil auch Schadenersatzklagen von Anwohnern drohten, ließ die Stadt ihrerseits die Schuldigkeit überprüfen. Der Kommunale Schadensausgleich (KSA) hätte für verschuldete Schäden einstehen müssen. Der stellte aber mittlerweile fest, dass der Stadt kein schuldhaftes Verhalten vorzuwerfen sei. „Der Grundwasseranstieg war eine nicht vermeidbare Folge“ der Stilllegung des Wasserwerkes, heißt es in der Begründung. Zudem sei es Sache jedes Bauherrn, sein Eigentum gegen ansteigendes Grundwasser zu schützen. Es gebe keine Pflicht „den Grundwasserstand unverändert zu belassen.“ Fünf Tage nach diesem Freispruch für die Verwaltung, beschließt der Stadtrat am 13.12.2011, dass ein externer Gutachter die Ereignisse noch einmal beleuchten soll. Außerdem soll ein Schadenskataster erstellt werden.

Damit die betroffenen Bürger mit ihren Schäden nicht ganz alleine bleiben, soll ihnen von städtischer Seite ein „fester Ansprechpartner“ vermittelt werden. Das beschloss der Stadtrat ebenfalls. Was dieser Vermittler genau bewirken kann, bleibt weitestgehend unklar. Aber Meyer-Garbe von der SPD findet, „das ist ein gutes Mittel gegen die Frustration der Bürger. Schließlich könne der Ansprechpartner Erklärungen geben. Erklärungen auf die Frage nach Schuld und Verantwortung werden es aber nicht sein. Die hat die Stadt mehr als ein Jahr nach dem Abstellen des Wasserwerks selbst noch nicht gefunden.

Der Artikel entstand im Rahmen eines Rechercheseminars an der Uni Hamburg im Winter 2011/2012. Der Artikel ist unveröffentlicht.

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